«Zurück zur Blogübersicht«

BIPoc Kinder - der ganz normale Wahnsinn:  Suche nach einer Schule mit weniger Rassismuspotenzial 

Autor*in: Phyllis X
8 Minuten
BIPoc Kinder - der ganz normale Wahnsinn:   Suche nach einer Schule mit weniger Rassismuspotenzial 

Um die beste Schule für ihr Kind zu finden, vergleichen Eltern pädagogische Konzepte, Entfernung zum Wohnort, Fremdsprachen, AGs und das Mittagessen der weiterführenden Schulen. Für BiPoc Kinder hat die Wahl der weiterführenden Schule allerdings ganz andere Prioritäten. 

  

Seitdem ich zur Schule gegangen bin, hat sich optisch nicht viel getan. Die Schulhöfe sehen in den „guten“ Schulen, sprich Gymnasium bunt aus und in den weniger guten Schulen karg und farblos. Hänseleien heißen heute Mobbing und werden sehr ernst genommen. Fast jedes Kind hat von Rassismus gehört und noch mehr haben es selbst erlebt, auch wenn sie sich diesem Begriff nicht bewusst sind. Jedoch hat sich an den Schülern etwas verändert. Ich erinnere mich an 10 Jahre Schulzeit mit homogenen weißen MitschülerInnen. Heute sehe ich Diversität, SchülerInnen verschiedener Nationen, manche mit manche ohne offensichtlicher Migrationsgeschichte spielen miteinander auf dem lauten Schulhof. 

Eltern von BiPoc Eltern wollen ihren Kindern alles das bieten, was privilegierten weißen Kindern vermeintlich in den Schoß fällt. Eine gute Schulbildung, eine grundierte Basis, um in Zukunft mit einem Studium oder einer Ausbildung darauf aufzubauen. Es scheitert hier aber meist schon mit der Grundschulempfehlung. Studien zeigen, welche Folgen Rassismus im Schulalltag haben kann. Etwa eine Untersuchung der Uni Mannheim: Angehende Lehrerinnen und Lehrer benoteten ein Diktat von "Murat" schlechter als das von "Max" - obwohl der Text und die Fehleranzahl identisch waren. Berliner Integrationsforscher stellten fest, dass Lehrkräfte Kindern aus türkischstämmigen Familien weniger zutrauen, selbst wenn sich deren Leistungen nicht von denen der anderen unterscheiden. Für die Studie wurden 204 Lehramtsstudenten befragt. Sie sollten das Diktat eines Achtjährigen korrigieren und benoten, der mal Max, mal Murat hieß. Der Text war dabei immer gleich.

   

Wenn man also das Kapitel Grundschule mit Ach und Krach fast hinter sich gelassen hat und die ersten 4 Jahre damit beschäftigt war sein Kind gegen Rassismus und Diskriminierung vor Mitschülern und Lehrpersonen zu stärken und zu empowern – kommt jetzt der Endgegner. 

Die weiterführende Schule – Die GrundschullehrerInnen haben ein letztes Mal die Möglichkeit ihre Macht voll auszunutzen und Kindern den Weg in eine gute Zukunft zu verbauen. Ihre Grundschulempfehlung, die sie geben ist zwar nicht mehr bindend aber in der Realität ist es so, dass BiPoc Kinder gerne unterschätzt werden und die Grundschulempfehlung für sie dann bindend ist, vor allem wenn sie aus einem Elternhaus mit Sprachbarriere oder offensichtlich schwarzer Hautfarbe kommen. 

   

Ich bin eine schwarze deutsche und dazu noch alleinerziehend. Mein Sohn wird wahrscheinlich auf ein Gymnasium gehen, ich bin stolz auf ihn aber auch ängstlich. Der Weg zum Gymnasium war schwer, wir haben 4 Jahre, die verschiedensten LehrerInnen erlebt, die meinen Sohn mit dem N-Wort betitelten und es für gar nicht so schlimm hielten, ihn als Sexisten outen wollten, meinen Sohn regelrecht nach unserer wirklichen Herkunft aushorchen wollten. Ich muss ehrlich sagen, ich bin froh dieses Kapitel gemeinsam mit ihm zu abzuschließen, aber besser den Teufel, den man kennt, als der, den man nicht kennt, oder?


Das Gymnasium in unserem Ort ist divers, hat eine relativ ältere Lehrerschaft, in der Schülerschaft jedoch habe ich einige SchülerInnen befragt und ich höre immer wieder von Diskriminierung, desinteressiertem Lehrpersonal oder von Tatsachen, wie es gäbe kaum bis keine schwarzen männlichen Schüler dort. Wie kann das sein – übersteigt dieses Gymnasium die Fähigkeiten schwarzer männlicher Schüler? Wie kann das sein? Warum dürfen BiPoc Schüler nicht einfach zur Schule gehen, um zu lernen? 

  

Da ich eben alleinerziehend bin und es für mich kaum realistisch ist, neben der Berufstätigkeit und meinem eigenen persönlichen Anliegen jeden Tag der offenen Tür oder Infoabend der jeweiligen Schulen zu besuchen.  Ich habe mich bei meinen Recherchen daher auf das Medium Internet gestützt, Homepages gesichtet und die Kinder von Bekannten oder Nachbarn ausgefragt. Da ich nie ein Gymnasium besucht hatte und meine Recherchen im Internet mich nicht weiterbrachten, fragte ich per E-Mail bei diesem Gymnasium an. Sie haben sogar eine PädagogIn, die extra für die Fragen von Eltern der neuen 5. Klässler abgestellt ist und auch die Gespräche und Probetage koordiniert. Das schien genau die richtige Person zu sein, um mir meine Ängste zu nehmen und uns bei dem Thema Übergang zur weiterführenden Schule zu unterstützen.

"Sehr geehrte Damen und Herren, 

mein Sohn ist aktuell noch in der 3. Schulklasse und ich recherchiere aktuell bereits nach passenden Schulformen. Mein Sohn ist ein guter Schüler, dennoch ist für mich nicht direkt ersichtlich, welchen Notendurchschnitt er benötigt, um ihre Schule zu besuchen. 

Wären Sie so nett mir dies kurz mitzuteilen? 

Zudem möchte ich noch gern wissen, ob ihre Betreuung nur mehrheitlich von Schülern aus der 5. Klasse genutzt wird oder es auch noch in der 6. Klasse genutzt werden kann/darf. 

Mit freundlichen Grüßen"

   

Die Antwort, die ich darauf erhielt, brachte mich zum Kochen. Ich möchte hinzufügen, dass mein Nachname zudem arabisch oder muslimisch klingt und die Reaktion auf meine Frage kann damit zusammenhängen oder mit einem schlechten Tag dieser Koordinatorin für die Erprobungsstufe. Jedenfalls bedeutet diese Antwort für mich, schick dein Kind nicht in die Höhle des Löwen. Denn, als Mutter eines BiPoc Schülers ist mein Wunsch natürlich, dass er ein glückliches und zufriedenes Leben führt, jedoch wird dies in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft, die tagtäglich an ihm nagt nicht so einfach möglich sein.

   

".... die Betreuung der Caritas an unserer Schule ist für Kinder der 5. und 6. Klasse. Ihr Kind könnte also gerne auch zwei Jahre dort in die Betreuung gehen.
Selbstverständlich gibt es keinen Notendurchschnitt, mit dem wir ihr Kind hier aufnehmen oder nicht. Abgesehen davon hat ihr Kind ja wahrscheinlich bisher noch nicht einmal Noten bekommen, oder? 

Grundsätzlich würde ich Ihnen empfehlen anders über die Entwicklung ihres Kindes nachzudenken. Wenn Sie sich wünschen, dass Ihr Kind ein glückliches und zufriedenes Leben führt, dann sollten Sie nicht über den Notendurchschnitt eines Drittklässlers nachdenken. 

  

Fördern sie im Alltag ihr Kind, unternehmen Sie mit dem Kind interessante Dinge, lassen Sie ihr Kind als Kind leben und warten sie dann ab, ob es eine Gymnasialempfehlung oder eine eingeschränkte Gymnasialempfehlung bekommt. Wenn dem so ist, können Sie ihr Kind, wenn es das möchte, bedenkenlos bei uns anmelden. Wenn dem nicht so ist, dann suchen Sie zusammen mit ihrem Kind eine Schule, in der es nicht so stark kognitiv gefordert wird. Ich würde Ihnen nicht empfehlen ihr Kind jetzt schon mit Nachhilfe zu "gängeln" nur um einen Notendurchschnitt zu bekommen. Es geht im Leben um den ganzen Menschen, nicht um Zahlen auf einem Blatt Papier. 

In der Hoffnung auf ein unbeschwertes Leben für ihren Sohn verbleibe ich mit herzlichen Grüßen 

   

- Koordination Erprobungsstufe -"

   

Dieser Brief hat in mir alle Alarmglocken zum Klingen gebracht. Ich musste meine Anfrage mehrfach lesen, um für mich selbst sicher zu gehen keine Vorlage gegeben zu haben. Ich habe niemals über die Notwendigkeit gesprochen, mein Kind zur Nachhilfe zu schicken, zudem lerne ich mit ihm zusammen. 

Aus meiner Kindheit kenne ich das zu gut, wenn ich in der Schule etwas nicht verstanden habe, wurde mir und meinen Eltern direkt ein Nachhilfelehrer empfohlen. Es kam meinen damaligen LehrerInnen nie in den Sinn, dass meine Eltern, die ebenfalls Schulen besucht hatten und sogar eine akademische Laufbahn eingeschlagen hatten mir bei Schwierigkeiten im Fach Mathe hätten helfen könnten. Die Tatsache, dass Menschen, die die deutsche Sprache nicht auf muttersprachlichem Niveau beherrschen, war für sie gleichgesetzt mit ungebildet.

Den Hinweis mit der Förderung meines Kindes im Alltag hat mich ebenfalls aus den Socken gehauen. Mein Sohn hat wirklich viel Förderung genossen, da ich auf Bildung, Bücher und Kultur viel Wert lege, aber anscheinend hat mein Nachname wirklich den Eindruck für diese offensichtlich weiße Person erweckt, dass wir ein bildungsferner Haushalt sind und ein Gymnasium nicht zu uns passt.

  

Ich war erbost und gleichzeitig sehr traurig darüber, dass in meinen 3 Sätzen so viel falsch interpretiert wurde, Mutmaßungen und Vorurteile auf mich einprasselten. Und genau das ist es, was Eltern von BiPoc Kindern das Thema Schulbildung erschwert. Die Schule kann den besten Ruf, Schule ohne Rassismus Banner und die besten Lehrer haben, aber wenn man sein Kind unreflektiertem Lehrpersonal zum Fraß vorwirft - wird es gefressen. Ich gebe jeder BiPoc Familie den Rat vor der endgültigen Wahl einer Schule, die Homepages der jeweiligen Schulen zu sichten, auch ruhig 1 Jahr im Voraus mit der Recherche zu beginnen. Spontan an der Schule vorbeizugehen und sich die reale Diversität auf dem Schulhof anzuschauen. Wenn Freunde oder Familie des Kindes auf der Schule sind, dann hat es Verbündete und das macht vieles erträglicher. Ein junges Lehrerkollegium ist auch ein Indiz für Wokeness aber auch nicht immer. Vertrauen Sie auf Ihr Gefühl und treten sie vorab auch mal ins Gespräch mit den Wunschschulen.

  

In diesem Sinne, viel Glück und behalten Sie ihre Nerven. Auch dieses Kapitel zieht an uns allen vorbei.

  

  

Quellen:

Türkische Schüler: Schlechtere Noten für gleiche Leistungen - DER SPIEGEL

The myth of the Black male beast in postclassical American Cinema: ‘Forging’ stereotypes and discovering Black masculinities (bham.ac.uk)

Kolumne zum Übertritt - Suche nach der Schule des Lebens - Gesellschaft - SZ.de (sueddeutsche.de)

  

Foto © pixabay.com