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Dekolonisierung. Nachhaltigkeit. Diversität.

Autor*in: Stephanie
4 Minuten
Dekolonisierung. Nachhaltigkeit. Diversität.

„Und.jetzt“ ist eine Initiative, die als Reaktion auf die Erklärung des Klimanotstands im Wuppertaler Stadtrat eine künstlerische Auseinandersetzung mit ökologischen und sozialen Themen anregen möchte. Dazu wurde an vier örtliche Künstler*innen bzw. -gruppen ein Stipendium zur Finanzierung ihrer Arbeit vergeben. Flankiert wird das Projekt von vier Rahmenveranstaltungen an alternativen Kultur-Orten in der Stadt.

Für den 18. November hatte die Initiative ins „Loch“ eingeladen, moderiert von Meieli Borowsky-Islam (Decolonize Wuppertal) und Sina Dotzert (und.jetzt). Im Mittelpunkt stehen diese Fragen: „Welche Ideen offenbaren sich, wenn wir Dekolonialisierung, Klima und Kunst zusammen denken? Wie können Kunst und Kultur helfen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und eine globale Solidarität zu entwickeln?“

„ …wenn wir die einzige Geschichte ablehnen, wenn wir realisieren, dass es niemals nur eine einzige Geschichte gibt, über keinen Ort, dann erobern wir ein Stück vom Paradies zurück.“ 
Chimananda Nkozi Adichie

Unter diesem Motto stehen persönliche Geschichten von Menschen of colour im Mittelpunkt, entgegen dem Bild von der einen Geschichte, die von den Mächtigen bestimmt wird. 

Sie erzählen bewegend davon, wie sie die Nachwirkungen der Kolonialgeschichte, also Rassismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen in ihrem Alltag erleben. Ihre Kinder bekommen in der Schule nicht die gleichen Chancen wie weiße Kinder. Dies belegt die sogenannte Mehmed und Max-Studie: Ein Schüler namens Mehmed wird allein aufgrund seines arabischen Namens schlechter benotet als sein Mitschüler Max, bei exakt der gleichen Leistung. Eine lebhafte Diskussion wird durch die Erfahrung angeregt, dass schwarze Menschen oder Frauen mit Kopftuch unwillkürlich gesellschaftlich geringer bewerteten Berufen zugeordnet werden, zum Beispiel sieht man sie als Reinigungskraft. Die Homepage einer Beratungsstelle für migrantische Gründer*innen zeigt – was wohl sonst - einen Gemüseladen! Der unbewusste, rassistische Subtext dahinter lautet seit den Zeiten der Sklaverei, dass schwarze Menschen bzw. Migrant*innen in dienenden Positionen zu verbleiben hätten und eine höhere Bildung und beruflicher Erfolg ihnen nicht zustehe. Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass weiße Menschen sich dieser unwürdigen Mechanismen bewusst werden, damit es gelingt sie gemeinsam zu überwinden.

Dem entgegen stehen die geschilderten Erfahrungen von Empowerment. In London erscheint es selbstverständlich, dass Menschen of colour alles sein können: Man trifft sie als Zollbeamte:r oder Pilot:in auf dem Flughafen, als Bankangestellte, als Lehrer:innen und Professor:innen, als Verkäufer:innen in Modegeschäften und vieles mehr. Von dieser gelebten Chancengleichheit ist die Gesellschaft in Deutschland vielerorts noch weit entfernt.

Zudem berichten die Menschen, wie sie mutig für ihre eigenen Rechte einstehen in Situationen, in denen sie mit offenem oder unterschwelligem Rassismus konfrontiert sind. Wie es eine Frau ausdrückt, stehen sie dabei „als eine mit Zehntausenden“, denen nicht die Möglichkeit zu widersprechen nicht gegeben ist. Wie sie gegen alle Widerstände ihren Weg gemacht haben, erfolgreich in Schule, Studium und Beruf sind, verlangt größten Respekt. Es wird deutlich, wie sehr sie die Wuppertaler Stadtgesellschaft bereichern mit ihrer Musik, ihrer Kochkunst, ihrem politischen Engagement.

Abseits von diesen persönlichen Berichten wurde diskutiert, wie der Kolonialismus bis in die heutige Zeit nachwirkt. Erwähnt wurden geraubte Kunstgegenstände von kolonisierten Völkern, die bis heute in westlichen Museen oder in Privathand sind. So auch in Wuppertal, im ehemaligen Völkerkundemuseum (umbenannt in „Museum auf der Hardt“). Dort sind unter anderem Skulpturen eines indigenen Volkes zu sehen, das auf einer indonesischen Insel lebt. Bis heute wird behauptet, die Objekte seien den Missionaren auf freiwilliger Basis geschenkt worden und bräuchten deshalb nicht zurückgegeben zu werden.

Ein wichtiger Aspekt sind die Umweltzerstörung und der Klimawandel, von denen die Länder des Globalen Südens besonders betroffen sind, während die historische Verantwortung für die Schäden bei den Industriestaaten liegt. Bis heute geraten diese Länder durch ein extraktivistisches Wirtschaftsmodell, also den Export von mineralischen und agrarischen Rohstoffen mit schweren ökologischen Folgen bei minimaler Wertschöpfung, in einen Teufelskreis aus Abhängigkeit und Verschuldung. Weiterhin profitiert der globale Norden einseitig von der Ausbeutung der Natur und der menschlichen Arbeitskraft.

Der Klimawandel zeigt sich besonders im globalen Süden durch Dürren und Hungersnöte, katastrophale Stürme und Überflutungen. Die Menschen können sich davor nicht schützen und den Staaten fehlen die Ressourcen für Nothilfe und Wiederaufbau. Sie verlieren alles.

Der kapitalistischen Wirtschaftsweise steht das Modell des Buen Vivir entgegen, nach dem sich Indigene, Kleinbäuer:innen und lokale Gemeinschaften jenseits des Welthandels und nach basisdemokratischen Prinzipien mit dem versorgen, was sie für ein gutes Leben brauchen – innerhalb der ökologischen Grenzen ihres Landes und ohne dass Überfluss und Ungleichheit entsteht. Offen bleibt die Frage, wie ein solches Prinzip in der globalisierten Welt mit ihren hochkomplexen Handelsbeziehungen umgesetzt werden kann.

Begleitet werden diese intensiven Erzählungen und Debatten von einer Mahlzeit, die gemeinsam zubereitet wird. Alle schnippeln das Gemüse, aus dem die Köchin Mariame Camara auf der Bühne kunstvoll eine vegane Gemüsesuppe und vegetarische Teigtaschen zubereitet. Die Gerüche und die körperliche Tätigkeit verleihen der Veranstaltung eine ganz besondere Atmosphäre. Zum Abschluss wird die Suppe bei regen Gesprächen genüsslich ausgelöffelt.

Mehr dazu unter
https://fnwk.de/Themen/-undjetzt-Kunst-Kultur-Klimanotstand?fbclid=IwAR2YjQLYSB23I3SK5L1ePDo_Pk5CK97-_UWJcnvj7jdZ7pUWD1PBGPAZ1AQ

© Zitat und Grafik: siehe Link oben